Sieben
Die Biologin dachte die ganze Thet-Periode lang nach, wie sie die Monster noch etwas länger am Leben halten könnte. Wieso wurden sie so schnell schwächer? Wenn der Bau eines Volkes zerstört wurde, oder wenn die Königin starb, dann wurden die Glieder apathisch und passiv, ja. Aber diese hier waren doch am Anfang recht munter gewesen. Erst jetzt wurden sie immer schwächer. Ihre vorher prall elastische Oberfläche wirkte seltsam matt, schlaff und eingesunken.
Auf einmal durchzuckte die Biologin die Erkenntnis: Wasser! Diese Wesen waren ja gefüllt mit Wasser! Womöglich wurden sie überhaupt nur vom hydraulischen Druck des Wassers aufrecht gehalten? Man müsste ihnen Wasser geben!
Andere Stimmen des Volkes lehnten diese Idee ab: Wenn Wasser so wichtig für die Monster wäre, dann wären sie nicht so verschwenderisch damit umgegangen. Im Gegenteil: Diese Wasserangriffe deuteten darauf hin, dass sie ihre Flüssigkeit eher loswerden wollten. Und ein solcher Drang stünde auch im Einklang mit der Biologie des Volkes. Wieso sollten andere Lebewesen andere Bedürfnisse haben?
Lange rangen die verschiedenen Impulse in der Kollektivintelligenz des Volkes miteinander, bis sich einmal mehr die Biologin durchsetzen konnte. Soldatinnen wurden zum Wasser geschickt.
Es gab in der Nähe des Baus ein fließendes Gewässer. Das Volk hielt sich wohlweislich meist davon fern. Aber an einer Stelle war das Ufer sehr flach und darum ungefährlich. Öfters näherten sich vorwitzige Wasserlebewesen unvorsichtig dem Ufer, und dann konnte eine Soldatin mit ihren Mandibeln blitzschnell niederstoßen und das Wesen erlegen. Jetzt hatte die Biologin einen anderen Plan: Einige der erlegten Wasserlebewesen hatten einen schalenförmigen Panzer. Eine Soldatin sollte einen solchen Panzer mit Wasser füllen, und den Monstern bringen. Dann würde man ja sehen, was sie damit anfingen.
Der Erfolg war durchschlagend: Die beiden Ungeheuer stürzten sich förmlich auf die Flüssigkeit. Zuerst goss das Stabwesen fast den ganzen Inhalt der Schale in seine Mundöffnung, dann leckte das Lochwesen die Reste auf. Die Soldatinnen brachten noch mehrere dieser Schalen, bis die Monster endlich genug hatten und sich mit dem Rest des Wassers die Körperoberfläche polierten.
Danach wurden die fremdartigen Wesen deutlich aktiver. Sie gingen hin und her, trommelten auf die Kopfschilde der Soldatinnen, klopften mit ihren vorderen Extremitäten auch aufeinander, wobei sie eine Schwingung aussendeten, die nicht wie Panik war, aber ähnlich. Endlich setzten sie sich ein Stück weit auseinander wieder auf den Boden. Kurze Zeit später machten beide einen Wasserangriff auf die Wache. Und auch etwas Anderes, halbfest Erscheinendes verließ ihren Körper. Es mochten Exkremente sein, aber es war viel zu feucht. Diese Wesen waren wirklich unvernünftig. Kaum hatten sie das offenbar dringend benötigte Wasser bekommen, verschwendeten sie es auch schon wieder. Lange dachte die Biologin über diese Seltsamkeiten nach, bis Thet wieder den Himmel beherrschte. Als Hel fast verschwunden war, begab sich das Stabwesen dicht zum Lochwesen. Die beiden führten ihre Vorderextremitäten zusammen und verschlangen die Tentakel an deren Ende ineinander. Dann vollführten sie mit den nun verknüpften Extremitäten teils ruckartige, teils fließende Bewegungen, deren Zweck nicht ersichtlich war. Einmal, das Hel – Licht war schon ganz verschwunden, macht das Stab-Wesen eine sehr schnelle Geste mit seiner Vorderextremität zum Kopf des Lochwesens. Dort strahlte es kurz darauf und lang anhaltend sehr warm auf. Nun begann auch der Stab warm zu werden, und sich aufzurichten. Gebannt sah die Biologin zu, wie das Stabwesen seine Tentakel an die Thoraxwölbungen des Lochwesens brachte, und wie die beiden ihre Köpfe annäherten. Auch des Lochwesens Mitte erwärmte sich nun erheblich. Und, ja, diese besonderen Schwingungen breiteten sich wieder aus. Gebannt wartete das Volk.
Doch das Stabwesen bohrte sich diesmal nicht an derselben Stelle in das Lochwesen. Die beiden lagen zunächst nur nebeneinander. So konnte man genau beobachten, wie der Stab, offenbar nur durch Druck des Wassers in seinem Inneren, wohl auf das doppelte Volumen anwuchs und hart vom Leib des Monsters weg stand. Dann ergriff das Stabwesen den Kopf des anderen und bewegte ihn zu seinem Stab, so dass dieser dieselbe Öffnung penetrierte, mit der auch das Wasser aufgenommen worden war. Diesmal war es eher das Lochwesen, das sich aktiv bewegte, während das Stabwesen vergleichsweise ruhig lag. Und doch: Nach einiger Zeit kam es wieder zu dieser Explosion der Schwingungen, die das ganze Volk wonnig durchströmte!
Die Biologin wies die Soldatinnen an, noch vor Hel – Aufgang Wasser herbeizuschaffen und in der Nähe bereitzustellen. Dann dachte sie wieder nach. Diese erstaunliche Wärme der Ungeheuer. Wodurch mochte die gespiesen sein? Irgendwoher musste die Energie dafür ja kommen. Konnten die Wesen Hel – Wärme speichern? Hatte es etwas mit dem enormen Wasser-Umsatz zu tun?
Sie musste zunächst ruhen. Das Volk brauchte Ruhe. Die Arbeiterinnen sorgten sich bereits um den Stand der Vorräte. Bald würde die Welt in Kälte erstarren, und wenn die Kröpfe und die Vorratskammern dann nicht voll waren, würde das Volk den nächsten Wärmezyklus nicht mehr erleben. Die Ablenkung durch diese Monster war gefährlich! Und doch: Es war schwer, sich der Faszination zu entziehen, die von diesen, jeder Vorstellung spottenden Wesen ausging. Und es war schwer, sich den Verlockungen dieser fast hypnotisch wohltuenden Schwingungen zu entziehen, die dem Stabwesen entströmten, wenn es seinen Stab ins Lochwesen bohrte. Die Biologin würde dafür sorgen, dass die Monster noch eine Weile am Leben blieben!
Doch nun galt es, erst einmal auf Hel zu warten.
weiter geht es hier, mit Chitin – Teil 8
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2 Gedanken zu „Chitin 07“