Chitin 25

Epilog

—Viel später —

Bellavista, die Siedlung der Menschen, hatte sowohl Sommer als auch Winter von New Hope überstanden, und das mitgebrachte Saatgut war prächtig gewachsen, seit ein Brunnen das Wasser des riesigen unterirdischen Sees an die Oberfläche holte. Ziegen und Schafe knabberten an dem noch mageren Gras der Hochebene, bewacht von zwei übermütig umherspringenden Hunden. Sie würden bald Milch geben, um den öden Speiseplan des Synth zu ergänzen. Und irgendwann würden sie auch Fleisch liefern, obwohl Leena sich zur Zeit nicht recht vorstellen konnte, eines der Tiere zu töten und auszunehmen. Chitin 25 weiterlesen

Chitin 24

Vierundzwanzig

Die Biologin näherte sich dem regungslos auf dem Boden liegenden letzten Menschen. Seit der Zerstörung des Mannes hatte die Frau nichts mehr gegessen, nichts mehr getrunken und sich nicht mehr bewegt.

Vorsichtig berührte sie mit ihrer Antenne diesen Menschen, der ihr nun gar nicht mehr als Monster erschien, sondern als schutzbedürftiges weiches Wesen, fast wie ein junges, unreifes Glied des Volkes. Chitin 24 weiterlesen

Chitin 23

Dreiundzwanzig

Den ersten Winter auf New Hope verbrachte Leena im gestrandeten Raumschiff, umgeben nur von den zehn Embryonen, die in ihren künstlichen Gebärmüttern heranwuchsen. Eine mehr als zweihundert Meter dicke Schneedecke türmte sich über ihr. Anfangs hatte sie sich noch die Mühe gemacht, jeden Morgen den Gang zu verlängern, der durch den Schnee nach oben führte. Doch dann war die weiße Sonne gar nicht mehr erschienen, und es wurde so kalt, dass sie es auch im Schutzanzug nicht mehr aushielt. Trockeneis aus gefrorenem Kohlendioxid bildete die oberste Schicht der weißen Hülle, die die Polarregion bedeckte. Nach dem Kondensieren des CO2 war die Temperatur schlagartig noch weiter gefallen, auf unter minus 90 Grad. Und dann, endlich, war auch der Nachthimmel klar geworden und ein grandioser, fremdartiger Sternenhimmel breitete sich aus. Die fledermausähnlichen Wesen, die jeden Abend aufgestiegen waren, sobald die helle Sonne unterging, waren jetzt verschwunden. Leena hatte nie herausgefunden, wo diese Wesen ihre Tage verbrachten. Doch sie würde es herausfinden müssen. Wie so vieles auf dieser Welt. Chitin 23 weiterlesen

Chitin 22

Zweiundzwanzig

Gianna schreckte auf. Eine fremde Welt, ein fremdes Bewusstsein war in ihrem Kopf! Die Ameise war wieder näher gekommen und hatte sie mit ihrem Fühler berührt. Zuerst wollte sie voller Ekel und Angst um sich schlagen, doch dann siegte die Faszination. Ein Winkel ihres Bewusstseins, der noch rein menschlich geblieben war, rief ihr zu: »Genau dafür bist du hierher gekommen! Fremdes Leben, fremde Intelligenz!« Ein anderer Teil ihres Bewusstseins war eine Art Empfangsgerät für das Volk: ein fremdartiges Wesen, das die Gesamtheit der Ameisen zu symbolisieren schien. Nicht etwa die Königin. Die Königin war nur eine Art lebende Fabrikationsstätte für ›Glieder‹, wie der dritte Teil ihres Bewusstseins analysierte, jener Teil, der den menschlichen und den fremden Teil zu analysieren und zu integrieren versuchte. Gianna wurde zu einer Art Mensch-Ameise. Sie vereinigte in sich Erfahrungen und Wissen beider Teile. Fast vermeinte sie, ein drittes Extremitätenpaar und riesige Kiefer zu besitzen. Die ›Glieder‹: Eineiige Dutzendlinge, oder Klone der Königin, wenn man so wollte, die dasselbe Genom in unterschiedliche Phänotypen exprimierten. Es gab nichts, was mit der Paarung irdischen Lebens vergleichbar wäre. Keinen Sex, keine Geschlechter. Glieder waren unsterblich, solange sie nicht verhungerten, erstickten oder durch äußere Einwirkung vernichtet wurden. Sie hatten keinen individuellen Überlebenstrieb. Das Einzige, was zählte, war die Unversehrtheit des Baus und die Weiterexistenz des Volkes. Chitin 22 weiterlesen

Chitin 21

Einundzwanzig

Leena studierte tagelang die Aufzeichnungen der Erkundungen von New Hope während des Anflugs und der beiden Umkreisungen. New Hope war etwas größer als die Erde, und größtenteils Wüste. Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre war erdähnlich, aber Stickstoff machte nur 50% aus. Der Rest war Helium, Argon und Xenon, sowie verglichen mit der Erde etwa doppelt so viel Kohlendioxid. Die Luft war jedenfalls atembar. Chitin 21 weiterlesen

Chitin 20

Zwanzig

Als Gianna erwachte, war sie geil. Es war stockdunkel, und sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Aber sie war scharf wie eine Rasierklinge. Sie wusste erst nicht, wo sie war, lebte noch halb in ihrem Traum, bis sie wie ein Schlag die Erkenntnis durchfuhr. ›Ich muss schockiert und verzweifelt sein. Ich muss mir überlegen, wie ich hier wegkomme‹, dachte sie. Aber was sie wirklich fühlte, war grenzenlose Geilheit. Ein Griff zwischen ihre Beine bestätigte, was sie ohnehin wusste: Sie war nass und ihre Klitoris war angeschwollen. Schließlich gab sie den intellektuellen Widerstand auf. Sie würde ohnehin zu keinem klaren Gedanken fähig sein, bevor sie Befriedigung fand. Chitin 20 weiterlesen

Chitin 19

Neunzehn

Die Biologin war noch am Leben. Das Volk war zum Schluss gekommen, dass es ineffizient wäre, sie zu eliminieren. Ihr Nervensystem hatte den Schock des Kontakts mit den Monstern (den Menschen, korrigierte das Kollektiv das Symbol sofort mit demjenigen, welches aus dem Bewusstsein von Gianna stammte) bereits durchlitten, und es machte keinen Sinn, ein weiteres Glied des Volkes zu opfern. Da sich die Biologin nach einer Phase der Bewegungslosigkeit wieder bewegen konnte, und sich auch nicht direkt auffällig verhielt, war es logisch, dass sie weiterhin die Kontaktfunktion wahrnahm. Chitin 19 weiterlesen

Chitin 18

Achtzehn

Leena betrachtete nachdenklich die Aufzeichnungen der Berichte an die Erde. Beim Näherkommen hatte der Planet keinen besseren Eindruck gemacht. Er hatte sich als relativ wasserarm entpuppt, was auf ein kontinentales Klima mit großen Temperaturschwankungen schließen ließ. Auch die Vegetation war nicht wirklich üppig. Bewuchs gab es fast nur entlang der Flüsse. Und just dort war auch die beherrschende Lebensform dieser Welt in großer Zahl ansässig. Chitin 18 weiterlesen

Chitin 17

Siebzehn

Gianna war wie betäubt. Nardos übliches Geschimpfe und Gefluche hörte sie kaum. Zu viele Eindrücke waren auf sie eingestürmt. Sie musste nachdenken. Dieses Volk, dessen Gefangene sie waren, war so fremdartig. Obwohl, manches erinnerte sie an das, was sie von irdischen staatenbildenden Insekten zu wissen glaubte. Allerdings waren die nicht intelligent, Oder doch? Chitin 17 weiterlesen

Chitin 16

Sechzehn

Lange lag Leena nur bewegungslos in der Fähre, die sicher im Dock der ›Santa Maria‹ ruhte. Alles war sinnlos geworden. Sie wollte nur noch die Außenschleuse öffnen und Ivan folgen. Doch es fehlte ihr die Kraft, um aufzustehen und auf den Knopf zu drücken. Ein Alarmton marterte ihr Gehirn. Der Bordcomputer des Shuttle registrierte, dass sie bewegungslos auf dem Boden lag, und rief um Hilfe. Ein sinnloser, an den Nerven zerrender Alarmton, der niemanden erreichen konnte. Diese Situation war von den Programmierern nicht vorhergesehen worden, dachte Leena mit einem bitteren, stummen Lachen, das in einen Weinkrampf überging. Es fehlte ein Euthanasiemodul, das sie von ihrem Elend erlösen könnte. Sie hatte Hunger und Durst. Sie wollte tot sein, aber ihr Körper wollte leben. Sie hatte nicht den Mut und nicht die Kraft, zu sterben. Sie konnte nicht tot sein, ohne vorher zu sterben. Chitin 16 weiterlesen

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